Ab 1.500 Meter verstehen die Berge keinen Spaß. Diese alpine Faustregel wird immer häufiger missachtet, gerade auf Klettersteigen. Unfälle und Blockierungen nehmen zu.
Wer ins Gebirge geht, um zu bergzuwandern, bergzusteigen oder zu klettern, will neben der körperlichen Herausforderung auch Spaß haben. Absolut in Ordnung. Mir geht es nicht anders. Auch das Austesten eigener Grenzen macht Spaß – vor allem dann, wenn die Grenzen überwunden wurden. Das persönliche Empfinden, was wann wie Spaß macht, ist bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Nicht selten wird dieses Empfinden aber beeinflusst vom eigenen Erwartungsdruck, auch in der Freizeit und beim Bergsport etwas Großartiges, Außergewöhnliches leisten zu müssen. Viele neigen dann zur Selbstüberschätzung, blenden mögliche Gefahren einfach aus und überfordern sich selbst.
Quer durch alle Bergsportdisziplinen und unabhängig von der Schwere der Unfälle sei dieser Trend überall sichtbar, schreibt der DAV in seiner Berg-Unfallstatistik. „Viele Unfälle und Notfälle sind auf die Überforderung der betroffenen Bergsportler zurückzuführen und deshalb vermeidbar.“ Vor allem bei den Klettersteigen, die in den letzten Jahren im gesamten Alpenraum wie Pilze aus dem Boden schossen, ist die Zahl derer, die gerettet werden mussten, rasant angestiegen. Das alpine Unwort: Blockierung!
Auf Klettersteigen häufen sich die Unfälle und Notfälle
Was passiert bei einer Blockierung? Die Betroffenen hängen sprichwörtlich in den Seilen und kommen weder vor noch zurück. Was sie jetzt bestimmt, ist nicht mehr die Freude, im Gebirge unterwegs zu sein, sondern pure Angst. Bei Klettersteigen heißt das: Bloß kein Fehltritt, denn abstürzen geht gar nicht! Also muss es die Bergrettung richten. Der DAV: „Gerade bei Klettersteigen scheint die Anzahl derer, die den Gesamtanforderungen der Tour nicht gewachsen sind, stark zu wachsen. Die beste Prävention von Unfällen ist deshalb eine ehrliche Selbsteinschätzung.“
Schwierige und lange Klettersteige liegen im Trend. Entsprechend häufen sich die Unfälle und Notfälle. Auffallend beim Klettersteiggehen ist die große Zahl der Rettungen Unverletzter: Solche Notfälle machen die Hälfte aller Meldungen an Klettersteigen aus, teilt der DAV in der Bergunfall-Statistik 2015 mit. Betroffen seien vor allem die Unerfahrenen, und zwar mehr als bei jeder anderen Bergsportdisziplin.
Egoismus und Selbstüberschätzung haben am Berg nichts verloren
Warum aber neigen Viele dazu, sich und ihre eigene Leistungsgrenze gnadenlos zu überschätzen? Ja, nicht nur zu überschätzen, sondern schlicht und ergreifend zu ignorieren? Möglicherweise ist es falscher Ehrgeiz, das Resultat eines selbst auferlegten Drucks: Man meint, Freunden und Kollegen etwas beweisen zu müssen – und das geht nur, wenn die Gebirgstour möglichst lang, spektakulär und gefährlich ist. Status und Anerkennung holt man sich heute eben auch über die offizielle Klettersteigskala.
Egoismus und Selbstüberschätzung haben am Berg nichts verloren. Es obliegt jedem selbst, sein eigenes Können und die eigenen Leistungsgrenzen richtig einzuschätzen und sich dabei von äußeren Umständen nicht beeinflussen zu lassen. Mit im Boot sitzen aber auch diejenigen, die die weitere Verdrahtung, Verstiftung und Verklammerung des Gebirges forcieren. Die der Meinung sind, Spaß am Berg sei nur dann möglich, wenn es möglichst lang, steil und spektakulär zugeht – und dem unbedarften Gebirgsgänger das auch so verkaufen. Dieser Teufelskreislauf von alpinem Angebot und naiver Nachfrage lässt sich nur durchbrechen, wenn wir die Berge nicht länger als natürlichen Vergnügungspark betrachten, in dem Fun, Action und Kommerz der alleinige Maßstab sind. Stattdessen sollten wir uns an die einfache, aber zutreffende Faustregel halten: „Ab 1.500 Meter verstehen die Berge keinen Spaß.“