In meinem Job als Wander-Guide leite ich nicht nur Wandertouren. Durch die Nähe zu den Gästen fülle ich auch viele weitere Rollen aus. Ein persönliches Fazit nach acht Wochen auf Sardinien.
Es ist Anfang Juli 2018 und ich darf nun schon seit rund acht Wochen als Wander-Guide auf Sardinien arbeiten. Mit dem Schreiben habe ich es mir, um ehrlich zu sein, einfacher vorgestellt. Nicht immer habe ich nach einer Wandertour noch Muße, mich hinters Laptop zu setzen und in die Tasten zu hauen. Manchmal zieht es mich dann einfach an den Pool auf die Liege oder ich brauche dringend etwas zu essen. Dann verziehe ich mich meist in eine Bar unterhalb des Hotels, in dem ich wohne.
Heute habe ich unvorhergesehenermaßen „frei“. Und weil der Kopf es auch ist, kann ich endlich diesen Blog-Artikel schreiben. Die Wandertour auf den Hausberg von Orosei, dem Tuttavista, fiel nämlich aufgrund mangelnden Gästeinteresses aus. Das kann schon mal passieren, wenn viele Gäste lieber moutainbiken oder am letzten Tag vor ihrer Abreise noch einmal kräftig rumlümmeln und chillen wollen. Außerdem steigen die Temperaturen auf Sardinien seit einigen Tagen kontinuierlich an beziehungsweise pendeln sich über 30 Grad Celsius ein. Ich möchte nicht wissen, wie es erst sein wird, wenn hier der Scirocco bläst und die Insel in eine heiße Glocke hüllt.
Was gibt es seit meiner Ankunft auf Ichnôussa, wie Sardinien in der griechischen Antike hieß, nun zu erzählen? Erwartet jetzt keinen zeitlichen Abriss von Erlebnissen. Es soll nicht um eine chronologische Rückschau gehen. Es geht darum, was mich bislang am meisten bewegt – mental und gefühlsmäßig. So ist der viel befürchtete, und auch erwartbare Lagerkoller bislang ausgeblieben. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass der noch irgendwann zuschlagen wird. Das liegt sicher auch daran, dass wir innerhalb unseres Teams eine doch insgesamt gute Stimmung haben – ein Umstand, der mit Sommer, Sonne und Strand nicht aufzuwiegen ist.
Meine eigentliche Arbeit, so möchte ich es umschreiben, ist nicht unbedingt die Leitung von Wandertouren. Klar, das natürlich auch, aber im Grunde geht es bei meiner Tätigkeit als Wander-Guide vor allem um die Betreuung der Gäste. Ich bin Wander-Guide, ja, aber ich bin auch Erklärer, Helfer, Spaßmacher, Zuhörer, Unterhalter, Moderator, Beschwichtiger, Organisator, Antreiber, Mutmacher, Reiseleiter. Habe ich etwas vergessen? Fehlt vielleicht nur noch der Seelsorger, aber nein, als das bezeichne ich mich nicht – und Seelsorger kann und will ich auch nicht sein! Das ginge dann doch zu weit. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet Abgrenzung. Man muss zwar ansprechbar sein und zuhören, aber sich eben auch zurücknehmen, Raum für sich selbst geben können. Wer alles an sich heranlässt, Dinge vielleicht sogar persönlich nimmt, ist in diesem Job definitiv falsch.
Es sind also die vielen kleinen und großen Herausforderungen, die mir täglich mit den Gästen begegnen, und die meine eigentliche Arbeit ausmachen. Ob auf einer Wandertour oder im Hotel. Ob beim Abholen am Flughafen, als Begleitung bei einem Ausflug oder beim gemeinsamen Abendessen. Wer hautnah mit Menschen zu tun hat, weiß, dass man dabei mit unterschiedlichen und höchst individuellen Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert wird. Gerade in meinem derzeitigen Job, der ja im Grunde ein Dienstleistungsjob ist. Oft bin ich der erste Ansprechpartner für die Gäste, natürlich auch dann, wenn diese gar nicht wissen, dass ich zu einer bestimmten Frage gar keine Antwort habe, besser gesagt: haben kann. Als „Offizieller“ musst du zuhören, dich interessieren, und zumindest anbieten, dich nach der Lösung eines Problems – sodenn es denn eines ist – oder ums Einholen einer Information zu kümmern. Das ist mein Job. Mit zunehmender Dauer stelle ich fest, dass das Leiten von Wanderungen irgendwie in den Hintergrund rückt, das andere Dinge wichtiger sind.
Ihr werdet es schon längst erraten haben: Empathie gehört, um es im Fachjargon zu sagen, zu den entscheidenden Soft Skills, also überfachlichen Fähigkeiten, die ich tagtäglich einsetzen muss. Ohne Empathie läuft in diesem Job wenig bis nichts. Am einfachsten lässt sich das an konkreten Situationen zeigen: Da ist zum Beispiel ein Gast, der auf einer Wandertour plötzlich und für einen längeren Zeitabschnitt weiter hinten zurückbleibt. Die erste Reaktion: Nach hinten gehen und fragen, ob alles in Ordnung ist. Es könnte ja möglich sein, dass es ihm oder ihr nicht gut geht, dass die Kondition nachlässt oder dergleichen. Es gibt aber auch noch eine andere Möglichkeit: Der Gast möchte einfach eine Zeit lang alleine und in Ruhe wandern. Ungestört von den anderen Gästen, ohne sich zu unterhalten. Eine Weile bei sich und der Natur sein. Dies gilt es in dieser Situation zu bedenken, wenn man sich als Guide dem Gast nähert und vorsichtig fragt, was denn der Grund für sein Zurückbleiben ist. Wer ganz hinten läuft, muss nicht zwangsweise kaputt sein. Es geht ihm oder ihr nicht unbedingt schlecht. Wer den Gästen mit dieser Offenheit begegnet, sich nicht gleich auf eine „Lösung“ festlegt beziehungsweise indirekt unterstellt, es sei etwas nicht in Ordnung, erntet in der Regel entspannte und freundliche Gesichter – und am Ende des Tages zufriedene Gäste.
Ich möchte ein weiteres Beispiel geben: Es gibt Gäste, die assoziieren mit dem Begriff des „festen Schuhwerks“ sehr unterschiedliche Dinge. Für einige ist das mindestens ein Laufschuh. Im besten Fall ein leichter Wanderschuh oder gar Wanderstiefel. Für einige aber fällt darunter bereits eine Sandale, mit der man auch zu einer Opernaufführung geht. Ausgehschläppchen, wie ich es einmal nannte, als ein Gast sich über rund acht Kilometer durch die Macchia und über Asphalt kämpfte. Ich gebe zu: Mir ist dieser Fauxpas bislang nur ein Mal nicht aufgefallen. Ansonsten schicke ich die weibliche Klientel, die eine Wanderung mit einem Bummel in einer schick asphaltierten Einkaufsmeile verwechselt, kurzerhand zurück aufs Zimmer mit der bestimmten Bitte, sich doch festeres Schuhwerk überzuziehen. Dies geschieht durchaus zum Wohl der Gäste selbst, die ja Spaß an der Wanderung haben und nicht damit beschäftigt sein sollen, in gänzlich ungeeignetem Schuhwerk Halt und Tritt zu finden. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Schuss Humor gelingt das in der Regel gut. Man wird als Guide ernstgenommen, und im besten Fall noch mit einem Lachen belohnt.
Die Hälfte meiner Zeit auf Sardinien ist nun beendet. Ihr wollt mein Fazit lesen? Hier ist es: Ich werde bislang in dem bestätigt, wovon ich schon vor meiner Abreise überzeugt war: Ich kann gut mit Gästen. Ich bekomme den Spagat zwischen den Aufgaben eines Dienstleisters und der notwendigen persönlichen Abgrenzung gut hin. Ich kann meinen eigenen Humor auch im Kontakt mit den Gästen einsetzen, ob auf einer Wandertour oder abends als Unterhalter oder Moderator. Ich kann – und will – es nicht jeder und jedem Recht machen. Und: Ich lerne jeden Tag hinzu und erhalte auch hin und wieder Impulse von den Gästen, die für mein derzeitiges Leben, das sich zweifellos in einer Umbruchphase befindet, durchaus wertvoll sind. Die Arbeit mit Menschen ist eine Bereicherung, wenn auch fordernd und manchmal anstrengend. Aber ich habe das Gefühl, es gut zu machen. Eine Arbeit, die ich bislang noch nie getan habe. Letztens, an meinem freien Tag,fuhr ich Mountainbike, auf dem Rückweg von Orosei. Sengende Hitze. Eine Straße bis zum Horizont. Schweiß im Gesicht. Und Tränen. Tränen des Glücks und der Dankbarkeit, diesen Job auf diesem wunderbaren Fleckchen Erde machen zu dürfen. Ich habe noch acht Wochen.
Glückwunsch – hört sich nach einem Treffer an 🙂
Wow, danke für diesen interessanten Einblick! Ich stell mir diese Balance auch fordernd vor, vor allem wenn du diesen Job zum ersten Mal machst. Dann noch viel Spaß und interessante Begegnungen in der 2. Halbzeit!
Danke, liebe Christiane! Dein Kommentar freut mich sehr. Fordernd, ja, aber auch auf seine Art erfüllend ist dieser Job. Bis bald! Davide