Salzige Meerluft, duftende, blühende Macchia, Wanderberge. Nach der Kündigung werde ich vier Monate als Wander-Guide nach Sardinien gehen. Was mir das Leben damit sagen will.
Es ist schon erstaunlich, welche überraschenden Chancen einem das Leben manchmal bietet. Nein, so erstaunlich ist das eigentlich gar nicht. Genau das ist das Leben. Wir tun uns nur manchmal schwer, die eigentliche Botschaft hinter einer Chance zu erkennen, die vor uns liegt.
Es gibt nicht immer einen Plan B
Ende Januar 2018 erhalte ich die Kündigung meines Arbeitgebers. Ich bin völlig ahnungslos, als mich mein Chef in den Besprechungsraum bittet. So etwas kam bislang noch nicht vor, irgendetwas stimmt nicht. Interessanterweise spürt man in solch einem Moment, dass es keine guten Nachrichten sein können, die einem in den nächsten Sekunden übermittelt werden. Und so kommt es dann auch. „Wir müssen dir leider kündigen“, heißt es. Ich reagiere überrumpelt, aber dennoch gefasst. Im Gegensatz zu meinem Chef, der tatsächlich Tränen in den Augen hat. Mehr als zehn Jahre kenne ich das Unternehmen nun schon, in dem ich als Online-Redakteur gearbeitet habe. Mal als freischaffender Schreiber, in den letzten Jahren fest angestellt. Nun ist dieses Kapitel jäh beendet. Die nächsten beiden Tage nehme ich mir erst einmal frei, um festzustellen, dass man im Leben nicht immer einen Plan B haben kann. Warum auch? Sich erst einmal Luft zum Atmen nehmen, die negativen Gefühle, die mit der Kündigung verbunden sind, wahrnehmen und zulassen. Nur: Darauf muss man sich einlassen wollen und können. Es gelingt mir ganz gut.
In den Folgetagen und -wochen nach meinem Rauswurf werde ich zusehends geschäftiger. Ich bewerbe mich auf Redakteursjobs oder auf Stellen, von denen ich meine, sie entsprächen meinen Qualifikationen. Doch dann erinnere ich mich an die Worte meines Chefs, der meinte, das Ganze könne für mich auch eine Chance für Neues sein. Ich würde doch so gerne wandern, in den Bergen sein, Leute durch die Natur führen. Jetzt sei möglicherweise die Zeit gekommen, in dieser Richtung aktiv zu werden.
Wander-Guide: Ein Traum wird wahr
Neues. Als ob es diese Kündigung gebraucht hätte, um das zu erkennen. So kommt es, dass ich mich nach Jobs im Outdoor-Bereich umsehe. Bei Google gebe ich die passenden Suchbegriffe ein – das habe ich schließlich die Jahre über gelernt als Online-Redakteur. „Wanderführer“, „Job“, „Outdoor“. Es braucht nicht viele Begriffe für das, was ich suche. In meinem Kopf rattert es, als ich die ersten Suchergebnisse erhalte. Tatsächlich gibt es Reiseveranstalter, die Wander-Guides suchen. Ich lese weiter und kann mich des Aufkommens einer gewissen Euphorie nicht erwehren. Das wär‘s: Draußen sein. Wandern. Gäste betreuen, durch die Natur führen und für selbige zu begeistern. Neue Leute kennenlernen. Neue Impulse bekommen – für mich, fürs Leben.
Als ich mich nach einem Vorstellungsgespräch als Redakteur in Stuttgart noch eine Stunde am Hauptbahnhof verdingen muss, meldet sich mein Gefühlshaushalt. Das kann es nicht sein. Noch nicht. Vielleicht gar nicht mehr. Die Pendelei, die stickige City, das Fachchinesisch des potenziell neuen Jobs, Großraumbüro. Nein. Zurück in Karlsruhe rufe ich diesen Reiseveranstalter an, mit dem ich Tage zuvor schon Kontakt aufgenommen und mich als Wander-Guide beworben hatte. Einfach so. Ohne große Erwartungen. Der Dame aus der Personabteilung schildere ich meine emotionale Lage. Ich sage, dass ich hin- und hergerissen bin, aber mein Herz mir im Prinzip schon längst gezeigt hat, wohin meine Reise gehen soll. Dann die alles entscheidende Nachricht: Auf Sardinien ist überraschend eine Stelle als Wander-Guide frei geworden. Ab Anfang Mai soll es losgehen. Ich bitte um ein paar Tage Bedenkzeit, doch meine Entscheidung steht längst fest. Eine Woche nach dem Telefonat ist es amtlich: Ich werde für vier Monate nach Sardinien gehen und dort als Wander-Guide arbeiten. In einem Sportclub am Meer.
Jetzt ist jetzt. Warum an die Zukunft denken?
Ich weiß nicht, wie es werden wird auf der Insel. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich mit den anderen Guides verstehen werde und wie mir der Umgang mit den Hotelgästen gelingt. Und ich habe keinen Plan für die Zeit nach meiner Rückkehr. Fest steht: Ich werde erst einmal wieder arbeitslos sein, mit allen bürokratischen Zwängen, die damit verbunden sind. Aber warum jetzt an die Zeit danach denken? Warum Energie für etwas aufwenden, das noch in weiter Zukunft liegt? Das Leben hat mir etwas vor die Füße geworfen, damit ich es auflese. Damit ich es betrachte und es als Chance erkenne, etwas Neues zu beginnen. Zu fragen, was am Ende daraus wird, wäre vermessen. Ich bin überzeugt: Meine eigentliche Aufgabe besteht darin, mich einzulassen auf das Unbekannte, auf eine gewisse Unbehaglichkeit und Unsicherheit, die Unbekanntes immer mit sich bringt. Dass es das wert ist, ja, dass das für mich und meine persönliche Entwicklung notwendig ist, spüre ich. Vor diesem Hintergrund erscheint die Kündigung heute fast wie ein Segen. An dieser Stelle möchte ich den griechischen Philosophen Epiktet bemühen:
„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinungen, die wir von den Dingen haben.“
Hätte ich von Anfang an negativ über die Situation gedacht, mit dem Schicksal gehadert, mich von Existenzängsten – ja, die gab es und gibt es immer wieder einmal – bestimmen und überwältigen lassen, hätte ich mich womöglich der Chance beraubt, aktiv zu werden, in ungewohnte Richtungen zu denken, bestimmte Scheuklappen abzulegen und meinen Blick zu weiten.
Weil ich diese Erfahrung mit euch teilen möchte, habe ich den Artikel geschrieben. Versteht ihn als Mutmacher für Lebensumstände, die nicht immer angenehm sind. Die nicht so sind, wie wir es uns vielleicht gerade wünschen. Doch allein dadurch, dass sie eintreten, will uns das Leben etwas sagen. Wir erkennen das nicht immer gleich, und wir haben auch nicht immer gleich eine Lösung. Aber wenn wir uns einlassen auf das Leben und ihm vertrauen, werden wir unweigerlich spüren, was es uns sagen will.
Ich bin dem Leben unendlich dankbar, dass es mir diese großartige Chance eröffnet das zu tun, was ich liebe. Neue Wege zu gehen, um deren Ende ich mir heute noch keinen Kopf mache. Auch das war einmal anders.
Bleibt weiterhin wanderwütig!
Euer David
Hi David!
Sozusagen unter Kollegen: Von der ersten bis zur letzten Silbe packend, emotional aber nicht sentimental geschrieben, ein tolles Lesestück – wenn auch aus einem betrüblichen Anlass. Oder doch nicht? Denn wenn du das nun, wie du schreibst, als Chance begreifst, dann kann daraus etwas richtig Gutes werden. Die Gabe der guten Schreibe mit der Lust am wandern verbinden – das wäre es doch. Ich jedenfalls beneide dich um die Erfahrungen, die du machen wirst, die Eindrücke, die du sammeln wirst und den Stoff für reichlich weitere schöne Lesestücke (oder vielleicht ein Buch?)! Ich hoffe, wir lesen auch während der Sardinien-Monate weiter von dir 🙂
Beste Grüße
Ingmar
Hi Ingmar,
herzlichen Dank für deinen schönen und ermutigenden Kommentar. Es freut mich sehr, dass dir mein Artikel gefällt und ich damit die beabsichtigt Wirkung bei dir erzielt habe. Ja, ich sehe es als Chance, mal etwas ganz Anderes zu starten. Obwohl: So viel anders ist es ja nun auch wieder nicht, aber der Job im Hotel wird dann schon etwas Neues sein. So viele Freunde und Bekannte haben mich darin bestärkt, diesen Schritt zu gehen, dass ich mich nur sehr darüber freuen kann. Es bestätigt mich darin, das Richtige getan zu haben. Ich werde mich bemühen, auch vor Ort zu berichten, zumindest auf Facebook und Twitter. Sicher kommt noch der eine oder andere Blog-Artikel dazu, wenn sich das Ganze mal eingespielt hat und ich die Abläufe usw. kenne. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und danke dir für deine Lesetreue.
Liebe wanderwütige Grüße!
David
Hallo lieber David,
Danke für Deine Worte! Ich freue mich so unendlich für Dich! Manchmal muss uns das Leben einfach mal schupsen, damit wir lernen zu fliegen.
Dir alles Gute dafür!
LG, Bianca
Liebe Bianca,
ich danke dir sehr für deine Zeilen. Freut mich, dass du Anteil an meiner neuen Erfahrung nimmst. 🙂
Liebe Grüße!
David