Schatten spendende Steineichenwälder, grandiose Tiefblicke, azurblaues Meer, verträumte, historische Städtchen. Der Fernwanderweg GR 221 ist ein Muss für alle Mallorca-Wanderer.
Wer Mallorca besucht, sollte sich auf die Insel und, soweit es irgendwie geht, auf die Rituale seiner Bewohner einlassen. Das hatte ich mir vorgenommen, als ich das viertätige Trekking auf dem GR 221 durchs Tramuntana-Gebirge organisierte. Denn ich wusste: Die Mallorquiner haben einige Rituale – und vor allem leckere. Gesagt getan: Statt im Hotel zu frühstücken, starteten wir den Tag in der Markthalle von Palma, dem Mercat Olivar, mit frisch gepresstem Orangensaft, einem saftigen Baguette mit Thunfisch und Tomaten sowie einem Café con leche (Milchkaffe auf Spanisch). So machen das viele Mallorquiner jeden Tag, bevor sie zur Arbeit gehen. Sie setzen sich an irgendeine der kleinen gemütlichen Bars und schlürfen ihren Kaffee. Manche, vor allem die verrentete ältere Generation, genehmigen sich sogar schon vormittags ein hochprozentiges Stamperl. Für uns aber heißt es ab in die Berge. Es ist ein sonniger, warmer Maimorgen.
Steineichenwälder bringen die nötige Kühle
Der Bus bringt uns von der zentralen Metro-Station direkt nach Valldemossa, dem vielbesuchten und vielgerühmten Städtchen mit dem Kartäuserkloster, in dem der Komponist Frédéric Chopin und seine Liebste, die Schriftstellerin George Sand, den Winter 1838/39 zugebracht hatten. Nur kurz betreten wir die Altstadt, machen ein paar Bilder und setzen dann zum Trekking an. Es geht hinauf in die Berge, Steineichenwälder spenden Kühle. An alten Köhlermeilern vorbei steuern wir den „Mirador de Ses Puntes“ an. An diesem großartig platzierten Aussichtspunkt legen wir die erste Rast ein. Hier bekommen diejenigen von uns, die die Insel noch nicht kannten, einen ersten Eindruck von der Wildheit ihres Gebirges.
Vom Aussichtspunkt müssen wir rund 50 Meter auf dem gleichen Weg zurück marschieren, um dann weiter bergan den Reitweg des Erzherzogs zu nehmen. Vom Cami de S’Arxiduc, wie der Reitweg auf katalanisch heißt, offenbart sich ein grandioser Blick über die schroffe Steilküste. Links geht es senkrecht mehrere Hundert Meter hinunter. Das Meer glitzert azurblau, ein Boot dreht einsam seine Runden.
Wir marschieren weiter Richtung Künstlerstädtchen Deià, unserem Tagesziel, als es passiert: verlaufen! Einheimische haben offensichtlich unzählige Steinmännchen aufgetürmt, um Wanderer absichtlich in die Pampa zu leiten. Immer schnurstracks auf einen steilen Abhang zu, wo es nicht mehr weitergeht. Sogar einen provisorischen Wegweiser mit der Aufschrift „Deià“ und einem in die richtige Richtung weisenden Pfeil haben sie in die Erde gerammt. Die totale Irreführung. Eine knappe Stunde suche ich erfolglos nach dem Einstieg in den Steilhang. Dann entscheide ich umzukehren. Zurück nach Valldemossa und mit dem Bus nach Deià.
Auf halbem Weg zurück nach oben finden wir den richtigen Weg dann schließlich doch noch. Ein unscheinbarer Einstieg in den Steilhang zwischen zwei Steinmännchen. Zwei Mallorquiner, die durchs Gebirge joggen, bestätigen uns: „Esto es el camino“, das ist der richtige Weg.
Der Folgetag verläuft entspannt. Höhenmeter sind nur rund 250 zu bewältigen, dafür schlendern wir an kleinen Anwesen und Landgütern vorbei, sehen einer Dame beim Musizieren im Garten einer Finca zu und erreichen das Refugi Muleta in Port de Sóller. Spektakulär thront es auf einer Anhöhe direkt über dem Meer. Freie Sicht auf den Sonnenuntergang. Das Refugi Muleta ist der Geheimtipp, auch für „normale“ Mallorca-Reisende, die auf den üblichen Hotelkomfort verzichten können und sich nicht zu schade sind, auch mal eine halbe Stunde die Anhöhe hinunter nach Port de Sóller zu laufen.
Durch den „Barranc“ de Biniaraix
Die dritte Etappe unseres Trekkings verläuft von Port de Sóller ins Refugi Tossals Verds. Es ist die längste mit rund 20 Kilometern und knapp 1.000 Höhenmetern. Die Strecke von Port de Sóller nach Sóller schenken wir uns, denn sie verläuft ausschließlich in der Ebene an der Verbindungsstraße beider Städte. Also besteigen wir zwei Taxis und lassen uns direkt nach Sóller-City bringen. Um 9 Uhr brechen wir am zentralen Marktplatz auf. Die Geschäfte öffnen gerade, ein Hund lugt verträumt aus einem Fenster. Wir durchschreiten üppige Orangenhaine, denn in Sóller begegnet man außer seinen Einwohnern hauptsächlich Orangen- und Zitronenbäumen. Die süß-sauren Früchte sind hier schon seit Lebzeiten heiß begehrte Handelsware.
Im Örtchen Biniaraix steigen wir in den „Barranc“, eine enge Schlucht mit dem für Mallorca typischen Sturzach („Torrent“), der die Felsblöcke im Bachbett mit den Jahren glatt schleift.
Hinter uns Sóller, das mit zunehmender Höhe immer kleiner wird. Schweißgebadet kommen wir auf dem Col de l’Ofre an, 904 Meter über Normalnull. Zeit für die Tagesrast. Vor uns breitet sich der Cúber-Stausee, einer der beiden Speicherseen der Insel aus. Ein letzter Anstieg, eine kleine Kletterpassage und nach rund einer Dreiviertelstunde Gehzeit erreichen wir das Refugi. Ich bestelle erst einmal eine Runde Dosen-Bier für alle. Wir stoßen an auf einen wunderbaren Wandertag.
Der nächste Morgen empfängt uns mit kühlem Schauerwetter. Über dem Massanella-Massiv braut sich etwas zusammen, und als wir den Anstieg über ein breiteres Tal beginnen, öffnet der Himmel seine Schleusen. Die Wolken hängen tief, vom Massanella-Gipfel, dem zweithöchsten Berg Mallorcas, nichts zu sehen.
Auf dem Pass sind es gefühlte 0 Grad Celsius
Der Wind peitscht. Gefühlte 0 Grand Celsius. Wir pausieren trotzdem, ziehen mit zitternden Händen Chorizo, Brot und Käse aus dem Rucksack. Wie heißt es so treffend: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung! Abstieg zum Kloster Lluc. Der Regen lässt allmählich nach, hört schließlich ganz auf. Auch die Wolken leuchten jetzt heller. Ein gutes Zeichen, langsam aber sicher kämpft sich die Sonne durch. Wir können wieder ein Stück in die Ferne blicken, erkennen Wälder, Berge und das Meer.
Als wir beim Abstieg in einen großen Steineichenwald eintauchen, schlägt das Wetter komplett um. Schlagartig wird es wärmer und wir streifen die Regenjacken ab. Auch das kann Mallorca sein – und das macht das Wandern in seinem Gebirgszug so reizvoll. Als wir den Innenhof des Klosters betreten, strahlen wir mit der Sonne um die Wette. „Una cerveza, por favor!“ Jetzt ein Bier! Wir strecken alle Viere von uns, saugen die Wärme auf und sind stolz, einen Teil des legendären GR 221 gemeistert zu haben.